Von Bären, Wölfen und eckigen Spaghetti

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Eine gelungene Kombination von Muskelkater und dolce vita

Eine Gruppenreise? Den Individualisten plagen Zweifel. Auf Gedeih und Verderb zehn Tage 30 Menschen ausgeliefert? Na ja! Und andererseits: Wandern durch lauen Frühling und reizvoll unheimliches Land, weit ab der Touristenströme, doch inmitten in der wilden Landschaft der Abruzzen - da, wo wieder der Luchs pirscht, der Bär brummt und noch immer der Wolf heult. Kann doch gar nicht schaden, nicht alleine zu sein, wenn die - Wilden kommen, oder?

Es hat nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Wanderer haben eine Wellenlänge und verstehen sich. Und in 30 Köpfen steckt viel Wissen. Da gibt es den Astronomen, der den Himmel erklärt, den Jäger, der Spuren lesen kann, den Botaniker, der jedes Pflänzchen kennt, den Spaßvogel, der verlässlich die Stimmung hebt. Und dann gibt es da noch Herbert Grabe. Seit 1985 erkundet der Regensburger die Abruzzen - mit viel ökologischem und kulturhistorischem Sachverstand und mit einer tiefen Liebe zu diesem Land, seinen Menschen und - gottlob - auch zu ihrer Küche. Als Geschäftsführer des Bildungswerks des Bund Naturschutz hat er angefangen, Wanderstudienreisen in das wildeste Stückchen Italien anzubieten - den ältesten Nationalpark des Landes im Apennin östlich von Rom. Einheimische Naturschützer, die italienischen "Freunde der Erde", zeigten Herbert Grabe die wilde Schönheit der Abruzzen, die Heimat von Wolf, Bär und Adler sind, aber auch von Ovid und Ignazio Silone. Diese Berge haben ihre eigene Poesie, eine Jahrhunderte alte Schäferkultur, Jahrtausende Geschichte - und eine überwältigende Natur. Von all dem darf man reichlich erleben.

Etwa 500 Wanderer hat Herbert Grabe in den letzten acht Jahren durch die Abruzzen geführt. Er lehrt seine Begleiter eine behutsame Art des Reisens und Gehens, denn immerhin sind sie Öko-Touristen, deren Anwesenheit auch dem Erfolg und Überleben eines ausgeklügelten Naturschutzkonzeptes dient. Und schließlich führen die Wege durch sensibles Terrain, durch wirklich blühende Landschaften, wo nicht nur die Bären, nein, auch die Tulpen und Narzissen noch wild sind, nicht holländisch. Sie führen vorbei an Eremiteien Schäfergrotten, Lesesteinhäusern, Kastellen, alten Dörfern und Kirchen. "Wir werden uns auf den Spuren von Wölfen, Schafen, Wolfsforschern und Schäfern bewegen und neuen Verbindungslinien zwischen Kultur und Natur nachspüren", macht Herbert Grabe seinen Begleitern den Mund wässrig. Was er verspricht, das hält er.

Die Touren sind leicht bis anspruchsvoll und immer überraschungsreich. Sie kosten nicht wenig Schweiß und führen in der Majella hinauf bis in 2600 Meter Höhe. Und sie sind immer eine gelungene Kombination von Muskelkater und dolce vita. Wenn die Wanderer im Sirente mittags erschöpft ins Gras sinken, gibt es nur einen Schluck Quellwasser und ein Eckchen Schafskäse, dafür aber eine grandiose Kulisse und eine Kostprobe aus der Feder von Ignazio Silone. Doch beruhigend verlässlich winkt nach all der Mühsal am Abend dolce vita: reichlich Lammfleisch vom Feuer, die abruzzesische Pizza, die viel deftiger ist als die toskanische, Berge von Nudeln aus dem aromatischen Hochlandgetreide, würzige Schafsalami und Montepulciano d'Abruzzo. Mit Bedacht wählt Herbert Grabe für seine Wanderfreunde kleine Hotels, wo noch Mamma kocht, abruzzesisch versteht sich. Oder organisiert Festessen auf idyllischen Biobauernhöfen, wo die Spaghetti noch aus Emmer, dem uralten Zweikorn, sind - und eckig, weil sie auf einem mit Drähten bespannten Brett geformt werden.

Ein bis drei Wander-Studienreisen (zehn Tage) bietet Grabe, der inzwischen freischaffend tätig ist, jedes Frühjahr an, in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Regensburg oder verschiedenen Deutsch-Italienischen Gesellschaften aus ganz Deutschland. Sie führen ins Kerngebiet des alten Abruzzen-Nationalparks oder in die neueren Parks, die Bergwelt des Sirente und der Majella. Wegen des hohen Anteils von "Wiederholungstätern" sind die Fahrten blitzschnell ausgebucht. Wer dennoch mit will, naturbegeistert und gut zu Fuß ist, braucht Glück.

Von Heinz Klein, Mittelbayerische Zeitung,
Sa. 24./ So., 25. März 2001